|
 |
By
Kurt S.Weil.
MATTHIEU MICHEL : EIN FRIBOURGEOIS ZWISCHEN
ZWEI WELTEN.
DASS TROMPETE EIN WIRKLICH SCHWER ZU BEHERRSCHENDES INSTRUMENT IST, WEISS
JEDER MUSIKBEGEISTERTE. GANZ BESONDERS IM JAZZ WIRD DIESEM INSTRUMENT
DANK SEINER LEADERQUALITÄT EINE BESONDERS ANSPRUCHSVOLLE ROLLE ZUGWIESEN,
DIE NICHT JEDER TROMPETER ZU REALISIEREN WEISS. DENN NICHT NUR DIE BEHERRSCHUNG
DES INSTRUMENT ALLEIN IST BEDINGUNG, ES GEHT AUCH UM DIE VERANTWORTUNG,
DIE VON EINEM TROMPETENSPIELENDEN MUSIKER WAHRGENOMMEN WERDEN MUSS. MAN
HÖRT JEDEN FALSCHEN, ODER ZU LÄSSIG ANGESPIELTEN TON, DIE TROMPETE
IST FÜR DIE INTERPRETATION DER MELODIELINIE VERANTWORTLICH, UND DIE
MUSS DEN ZUHÖRERN SAUBER UND GUT ARTIKULIERT, RHYTHMISCH PERFEKT
UND MIT DER REINSTMÖGLICHEN INTONATION SERVIERT WERDEN. VIELLEICHT
IST DAS DER GRUND , WESHALB SICH SO WENIG JUNGE MUSIKER DAZU ENTSCHLIESSEN
KÖNNEN, DIESES INSTRUMENT ZU LERNEN. EIN EXPONENT DIESER MUSIKERGATTUNG
IST DABEI, SICH EIN INTERNATIONALES RENOMMEE ZU SCHAFFEN. « JAZZ
» HAT IHN ZU SEINER AKTUELLEN SITUATION BEFRAGT.
« JAZZ » : Matthieu Michel ist 34 Jahre alt,
jung für einer unserer Besten und eine grosse Hoffnung für die
Zukunft. Wie geht er damit um ?
« Matthieu Michel »: Ich lese viele gute Kritiken über
meine Arbeit, man klopft mir unablässig auf die Schulter und meint
es überhaupt sehr gut mit mir. Das jedoch ist nur die Vorderseite
der Medaille. Die Rückseite zeigt auch mir einen ziemlich harten
Existenkampf, und das Instrument, das ich spiele, fordert mich pausenlos.
Um zu überleben, bin ich fast dauernd auf Achse, die anstrengende
Reiserei ist notwendig. Doch ich habe Familie, Frau und zwei Kinder. Um
die muss ich mich auch kümmern.
« JAZZ » : Hat Ihre Frau Verständnis für Ihren Beruf
?
Michel : Sie ist die Schwester eines sehr guten Freuds von mir. Er ist
Pianist, und deshalb darf ich sagen, dass ich eine in allen Belangen sehr
verständnisvolle Frau habe.
« JAZZ » : Wie alt waren Sie, als Sie begannen, Trompete zu
spielen ?
« Michel »: (denkt nach) Nun, ich muss sechs gewesen sein,
als mir mein Vater, ein begeisterter Anhänger der « Fanfare
» (Blasmusik), eine Trompete schenkte. Das hatte natürlich
zum Ziel, dass ich mich so schnell wie nur möglich in eine solche
Blasmusik integrieren sollte. Das nahe Fribourg, da musste ich dann mitspielen.
« JAZZ » : Und wie sind Sie zum Jazz gekommen ?
« Michel »: Eine LP von Miles Davis wurde mir von meinem älteren
Bruder vorgespielt. Da habe ich sofort Feuer gefangen. Es war zwar nur
eine Doppel-LP mit verschiedenen Ausschnitten aus Miles’ berühmtesten
Alben, « Sketches of Spain » oder « Kind of Blue »,
doch mir hat diese Musik sehr gefallen. Ich versuchte, irgendwie nachzuspielen
und habe mich mir einigen gleichaltrigen Kollegen zusammengetan und angefangen
Jazz zu spielen.
« JAZZ » : Welche Lehrer haben Sie instruiert ?
« Michel »: Einer meiner ersten Lehrer war Americo Belotto,
ein Argentinier.
« JAZZ » : Der hat Ihnen auch die Grundbegriffe der Musik,
z.b. das Notenlesen, beigebracht ?
« Michel »: Überhaupt nicht. Das Lernte ich erst viel
später, als ich Berufsmusiker werden wollte und begriff, das ohne
diese bandwerkliche Voraussetzung keine Karriere möglich ist. Ich
lernte dann sehr bald Notenlesen ! Das Bild das ich vom Berufsmusikerleben
gemacht hatte, wurde ziemlich schnell von der Realität eingeholt.
Ich hatte wirklich keine Ahnung, was mich da erwarte.
« JAZZ » : Welche andere Trompeter ausser Miles haben Ihren
Stil geprägt ? Clifford Brown ?
« Michel »: Nein, eigentlich nicht. Da waren andere Koryphäen,
die mich interessiert haben. Hauptsächlich Woody Shaw, Freddie Hubbard
und Kenny Wheeler. Ich gehöre vielleicht eher in die Kategorie der
lyrischen Trompeter. Bei Miles war ich viel weniger von seinem Spiel als
von seiner überragenden Musikalität begeistert. Ebenso überzeugte
mich sein Sinn für Formalität und Ausdruck. Aber einmal abgesehen
von den Titanen der Trompete, hat mich Kenny Wheeler bisher am meisten
beeindruckt. Er hat mir bewiesen, dass es ausser den von amerikanischen
Exponeneten gewählten Formen noch andere gibt, die wertvoll sind.
Mit Miles hat er diese lyrischen Qualitäten gemeinsam, während
die anderen einen bestimmten « Groove » kreieren. Das empfinde
ich als eine unterschwellig existierende Notwendigkeit, aber für
mich ist beides gleichermassen wichtig. Es geht dann um die Prioritäten,
und ein Musiker trifft seine Entscheidung selbst, wie zu interpretieren
oder zu improvisieren sei.
« JAZZ » : Sie arbeiten zurzeit mit Mathias Rüegg im
Vienna Art Orchestra. Gibt es daneben eine Formation, die Ihnen wichtig
ist, etwa ein Quintett oder etwas in dieser Art ?
« Michel »: Ich spiele sehr im intimen Rahmen, beispielweise
im Duo mit einem Pianisten. Ich tue das sehr oft mit dem Pianisten Uli
Scherer, wir haben auch eine CD herausgegeben.
« JAZZ » : Also so was wie « Kammerjazz » - aber
daneben muss es noch anderes geben.
« Michel »: Ich habe mich neierdings in einem Hip Hop-Projekt
engagiert, das macht riesig Spass. Da gibt es einen Rapper, einen DJ und
vorprogrammierte Grooves, die Jungs sind echt gut und ich empfinde das
als eine willkommenene Abwechslung zur jazzbetonten Routine. Was mich
ausserdem sehr beeindruckt, ist diese Leidenschaftlichkeit.
« JAZZ » : Ihr Mitwirken in der Big Band de Lausanne hat uns
in der Deutschschweiz eigentlich auf Ihre Arbeit aufmerksam gemacht. Sind
Sie immer noch dabei ?
« Michel »: Nein, das kann ich mit meiner Präsenz im
Vienna Art Orchestra nicht mehr vereinbaren. Aber auch diese Arbeit hat
Spass gemacht, die BBL ist immerhin ein sehr gut Ensemble und ausserdem
recht gut organisiert. Wir haben sehr interessante Projekte realisiert.
Wenn die Finanzen stimmten und wir genügend Zeit dazu hatten, dann
war das Resultat entsprechend beeindruckend. Schlussendlich musste ich
mich für das eine oder andere entscheiden, entweder die BBL, oder
eben das VAO ! Im übrigen gibt es zwischen den beiden Big Bands doch
einen gravierenden Unterscheid : Mathias Rüegg ist eine echte Leaderfigur
und gibt dem Vienna Art Orchestra das Profil. Das hat der BBL eigentlich
immer gefehlt. Das kann ich dadurch beweisen, dass wir die grössten
Erfolge immer dann gehabt haben, wenn vorne ein Crack stand, der die Band
führte.
« JAZZ » : Pacal Auberson ?
« Michel »: Genau. Mit ihm hatten wir einen Riesenerfolg am
Festival in Cully, dasselbe Programm wie die BBL vergangenen Sommer in
Montreux präsentiert hat. Das VAO hat aber in jedem Fall für
mich Priorität. Immerhin bin ich schon seit sechs Jahren dabei, und
die Tourneen kommen immer öfter und immer länger. Diesmal sind
es sechs Wochen mit recht wenig Verschnaufpausen, da kann man sich fast
keine anderen Jobs mehr leisten, sie müssen doch irgendwie in den
Termikalender passen. Ich darf sagen, dass die Faszination immer noch
da ist. Das betrifft aber nicht nur die Musik, ich habe vorher nie mit
Musikanten gespielt, die sich alle mögen, wo es nie Streitereien
gibt und wo man untereinander bestens auskommt. Das hilft ungemein, ein
Verdienst von Mathias, meine ich ! Ganz abgesehen vom Persönlichen
und Musikalischen : Diese Band ist punkto Organisation einsame Spitze.
Rüegg versteht es, sowohl die künstlerische als auch die administrative
Leitung total im Griff zu behalten, eine Seltenheit innerhalb des Musikgeschäfts.
Doch trotz alledem - ich möchte diesen Job, so kreativ wie er ist,
nicht das ganze Jahr hindurch machen. Ich brauche nebenbei auch die Möglichkeit,
eigene Projekte zu realiesieren.
« JAZZ » : Spechen wir einmal von der Schweizer Szene - vielleicht
zuerst die negativen Seiten, die positiven kennen wir ja.
« Michel »: Wenn damit der « Röstigraben »
zur Sprache kommen sollte, der bedeutet mir persönlich garnichts.
Ich weiss aber, dass es viele sehr gute Musiker in der Schweiz gibt, die
an diesem imaginären Hindernis andauernd scheitern. Weniger pointiert
stellt sich die Situation für Romands, ich habe das Gefühl,
in der deitschen Schweiz genauso viel oder sogar noch mehr Akzeptanz zu
geniessen wie zuhause. Umgekehrt muss ich aber immer wieder bemerken,
dass die Deitschschweizer bei uns keinen Erfolg haben. Das ist mir unerklärlich,
es gibt wirklich sehr gute Jazzer, die kommen dank ihrer Herkunft bei
uns einfach nicht an !
« JAZZ » : » Die EWR-Abstimmung ?
« Michel »: Kann sein. Ich begreife das aber wirklich nicht.
Generell geht es uns in der Romandie aber nicht sehr gut. Während
ich davon Kenntnis habe, dass in Zürich zum Beispiel immer noch Subventionen
für den Jazz gesprochen werden, dass da gewisse Projekte finanziell
unterstütz werden, gibt es das hier nicht mehr. Es ist einfach kein
Geld mehr da für solche « luxuriösen » Projekte.
Wenn in der deutschen Schweiz gezielt unterstütz wird, dann lässt
sich ein gewisser Langzeiteffekt weit über das Ereignis hinaus erkennen.
Hier stellt man etwas auf die Beine, spielt und weg ist der Effekt ! Dank
dieser etwas misslichen Situation ziehe ich es vor, mehr und mehr im Ausland
zu arbeiten.
« JAZZ » : Vielleicht muss man sich mit einem oder ein paar
US-Koryphäen zusammentun, um das eigene Prestige etwas zu fördern
?
« Michel »: Das kann und will ich nicht. Die Musiker in meinem
Umfeld sind wirklich gut genug, um sich auf eigenen Füssen und ohne
Zuzug irgend eines international bekannten Namens zu profilieren. Ich
halte diese Unart für äusserst bedenklich und werde mich nie
dazu hergeben, bloss des Images willen mit Amis zusammen aufzutreten.
Das käme nur dann in Frage, wenn ich bei einer US-Gruppe aus welchen
Gründen auch immer engagiert würde !
« JAZZ » : Wie sieht es auf dem CD Produktionssektor aus.
Darf man bald etwas Neies erwarten ?
« Michel »: Wir sind schon längere Zeit dabei, eine neue
CD zu bringen. Diesmal entstand die Produktion rein zufällig, in
dem ich während einer Radioaufnahme drei verschiedene Pianisten in
den umliegenden Studios entdeckte – alles Freunde von mir –
und zum Schluss kam, eine CD mit drei Pianos (auch elektronische Tasteninstrumente),
ohne Rhythmusgruppe und ohne weitere Bläser aufzunehmen. Das hat
wiederum wirklich mal Spass gemacht, das war wirklich mal was ganz anderes,
andere Prioritäten mussten beachtet, die Sounds gut aufeinander abgestimmt
werden, kurz, eine ganz andere Herausforderung. Das, wie ich schon bemerkte,
sind die Highlights meiner Musikerkarriere, und ich wünschte, es
würde so bleiben.
|
|